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Am besten alles verbieten?

„Alleen / Alleen und Blumen // Blumen / Blumen und Frauen // Alleen / Alleen und Frauen // Alleen und Blumen und Frauen und / ein Bewunderer“

Eugen Gomringer

Ein sexistisches Gedicht? Oder eine Projektion? Folgen wir ihr, worüber dürfen wir dann noch schreiben? Nicht über Blumen. Sie könnten Assoziationen zum Wort Defloration hervorrufen. Nicht über Alleen. Sie könnten als Metapher für sexuelle Konnotationen dienen. Nicht über Frauen. Das könnte an sexuelle Belästigung erinnern. Nicht über die Welt, nicht über Schönheit und Freude, denn hinter jedem Wort, jedem Begriff, könnten sich Untiefen persönlicher Assoziationskunst verstecken, die darauf warten, ins Bewusstsein zu gelangen.

Soll sich das kreative Schaffen in den Elfenbeinturm verlagern? Nein – ein Phallussymbol. Darf das Schreiben sich nur mehr mit dem Nichts beschäftigen? Wahrscheinlich ist auch das gefährlich und verdächtig.

Betrachten wir es mal aus einer etwas weniger schöngeistigen Perspektive. Wie würde ein typischer Wiener spontan darauf reagieren? Erraten: Seid’s ang’rennt?, würde er fragen. Nun sind verlässliche Aussagen über Kunst und ihre Inhalte aufgrund einer solchen Befragung üblicherweise nicht zu erwarten, manchmal ist eine instinktive Reaktion allerdings doch hilfreich, um ein Thema nicht nur intellektuell, sondern in seiner Gesamtheit zu erfassen.

Wir leben in einer Demokratie. Das impliziert Meinungsfreiheit. Für Shitstorm-erprobte Kämpfer und Kämpferinnen ein unangenehmes Konzept, weil es ideologisch vertretenem Anspruch auf Wahrheit Vielfalt entgegensetzt. Natürlich gibt es Grenzen. Aufruf zu Gewalt und Hass, menschenverachtende Aussagen und dergleichen dürfen wir nicht tolerieren. Das Entfernen von Sprache, von Diskurs und Auseinandersetzung kann aber nicht die Lösung sein, um mit tatsächlichen und empfundenen Ungerechtigkeiten adäquat umzugehen.

Die Freiheit der Kunst ist ein Raum, der uns dabei hilft, vorhandene Spannungen auszuloten, Meinungen aufeinander prallen zu lassen, unterschiedliche Standpunkte und Denkweisen kennenzulernen. Auf dem Wiener Secessionsgebäude, errichtet kurz vor Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts, ist der damals gewählte Wahlspruch zu sehen, welcher heute noch immer gilt: Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.

Der Kunst, der Sprache, vielen unterschiedlichen Ausdrucksformen, wird jedoch laufend Raum genommen. Wir finden uns in einem Biedermeier wieder, das keine Abweichung oder Irritation mehr zulassen möchte. Was nicht gefällt, was man nicht sehen oder hören möchte, wurde früher entartet genannt. Heute werden dafür andere Vokabeln verwendet, Punzierungen, die all jene ins schlechte Licht rücken, die es wagen sollten, Partei zu ergreifen. Sexistisch zum Beispiel. Als Ungustl ins Eck gedrängt, diffamiert, karikiert. Das hatten wir schon mal.

Ich habe das Gefühl, diesmal beginnen die Bücher von der anderen Seite her zu brennen. Das ist kein bisschen besser und so weit dürfen wir es nicht kommen lassen.

Es liegt an uns, was wir sehen wollen und wie wir es deuten. Ein Bewunderer in einem Gedicht kann nämlich genauso gut eine Frau sein.


Bildnachweis: Wikimedia

Published inAllgemeinLiteratur